Schriftgröße: Sprache:DetailansichtDetailansicht
» CWWN » Aktuelles / Presse

12.05.2022

Mit Schreiben zum Erfolg

NRZ 12.05.2022

Sabine Cremers hat es mit ihren Gedanken zum Chaos ins Buch „Heraus mit den Sprachen“, herausgegeben vom Verein „Wortfinder“, geschafft.  

Von Rosali Kurtzbach

Rheinberg. Sabine Cremers hat schon immer gerne geschrieben. Briefe an die Mutter, an Freunde, Geburtstagskarten, am liebsten aber „Reime“, sagt sie. Und tippt gerade an einem weiter: „Klaus, Aus, Raus, Schmaus.“ Kurze Pause. Die 59-Jährige hebt ihren Kopf, mit dem sie schreibt. Wegen eines körperlichen Handicaps ist die Niederrheinerin von Kindestagen auf einen speziell für sie angefertigten Kopfschreiber angewiesen, mit dem sie Buchstabe für Buchstabe auf der Tastatur tippt. Langsam, gezielt, mit viel Geduld. „Respekt“, muss man da sagen. Ihre beiden Gruppenleiter in den Caritas-Werkstätten Niederrhein (CWWN) am Standort Rheinberg, Elisabeth Pecaric und Klaus Schütz, haben es schon „nach fünf Minuten aufgegeben, als wir das mal probiert haben“, sagen sie voller Anerkennung. Aber Sabine Cremers hat nicht aufgegeben. Sie schreibt jeden Tag, wenn sie zu Arbeit kommt. Und das mit Erfolg. Denn die gebürtige Duisburgerin ist eine der Preisträgerinnen und Preisträger des Buch-Projektes „Heraus mit den Sprachen!“, das der Verein „Die Wortfinder“ durchgeführt hat. 

An dem inklusiven Schreib-Kunst-Projekt haben sich rund 700 Menschen mit und ohne Behinderung beteiligt. Der gemeinnützige Verein „Die Wortfinder e.V.“ mit Sitz in Bielefeld fördert die Literatur und das Kreative Schreiben von besonderen Menschen und Menschen in besonderen Lebenslagen. Unter anderem veranstaltet er seit 2011 jährlich einen Literaturwettbewerb für Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Für das Schreib-Kunst-Projekt haben zehn Künstlerinnen und Künstler, die selbst nicht schreiben und auch nur wenig sprechen können Bilder gemalt, gezeichnet und fotografiert, die den Autoren und auch Sabine Cremers als Anregung zum Schreiben von Texten dienten.

Das Chaos war vorgegebn

 Auf die ganz unterschiedlichen Bildsprachen haben sich Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung und auch bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Jenny Erpenbeck, Vea Kaiser, Peter Stamm und Stephan Thome eingelassen. Die Autoren sind zwischen acht und 99 Jahre alt. „So entstand eine höchst anregende Mischung von Gedanken, Gedichten und Geschichten“, sagt Sabine Feldwieser, Projektleiterin vom Verein „Wortfinder e.V.“ Das Buch eröffne „neue Sichtweisen auf Bilder, auf Sprache, auf Menschen, auf die Welt und bietet einen kreativen Raum, in dem man experimentieren und sich spielerisch mit den eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten auseinandersetzen kann“, so Sabine Feldwieser.

Neue Sichtweisen, die hat auch Sabine Cremers durch die Teilnahme an dem Projekt gewonnen. Die Caritas-Werkstätten Niederrhein sind auf das Kreativ-Projekt des Vereins „Wortfinder“ aufmerksam geworden. Gruppenleiter Klaus Schütz fragte Sabine Cremers, ob sie nicht mitmachen wollte. Die zögerte keine Sekunde: „Ja“. Aus 50 Bildern wählte sie vier Motive aus, unter anderem das der Künstlerin Olga Mezenceva, die Autistin ist und überhaupt nicht verbal kommuniziert, sich viel durch ihre Bilder ausdrückt. Der Titel des Bildes „Chaos“ war vorgegeben. Aber was sieht Sabine Cremers in dem Bild? „Es ist schön bunt. Und ich bin auch selbst ein bisschen chaotisch, sagt sie“ und lacht schelmisch.

Bislang hat Sabine Cremers die Texte für sich, die Familie und Freunde geschrieben. In der Werkstatt-Zeitung hat sie einiges veröffentlicht. Und im Rahmen eines Schreibprojektes der CWWN zum Thema Heimat einige Zeilen verfasst: „Heimat ist für mich Familie, Freunde, und wenn ich mich bei meinen Eltern geborgen fühle. Die langjährige Freundschaft zu meinem besten Freund ist für mich Heimat.“ Und auf die Frage was für sie „Fremde“ bedeutet schrieb sie: „Als ich vier Wochen alleine in der Kur für Behinderte war. Keiner hat meine komische Aussprache verstanden. Das Schlimmste war für mich, dass mich die Leute erst einmal als geistig behindert eingestuft hatten.“

Worte, die zum Nachdenken anregen. Das Schreiben, so schreibt Sabine Cremers, „ist für mich eine optimale Ausdrucksmöglichkeit. Es steigert mein Selbstwertgefühl.“

Und das darf jetzt ruhig noch ein bisschen größer sein. Die Freude darüber, dass ihr kleiner Text in einem Buch erscheint, „ist riesig.“ Ob sie damit gerechnet hat? Sabine Cremers schüttelt den Kopf und sagt: „Nicht mit gerechnet“, um sich dann wieder ihrem neuen Reim zuzuwenden. „Klaus nimmt an einem Festtagsschmaus teil...“ tippt sie Buchstabe für Buchstabe. Mit viel Freude.

Das Buch „Heraus mit der Sprache“, 496 Seiten, kann direkt bei „Die Wortfinder e.V.“ bestellt werden. 29,80 Euro (zzgl. Versand).

 

 

 

» zurück zur Übersicht